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Ex-SP-Präsidentin Christiane Brunner ist tot

Staenderaetin Christiane Brunner SP/GE, aeussert sich am Freitag, 23.April 2004 waehrend eines Interwievs der Tribune de Geneve zur 11.AHV-Revision in Bern. (KEYSTONE/Monika Flueckiger)
Alt-Nationalrätin Christiane Brunner.Bild: KEYSTONE

Ehemalige SP-Präsidentin Christiane Brunner ist gestorben

18.04.2025, 11:0718.04.2025, 15:09
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Die Gewerkschafterin und frühere SP-Präsidentin Christiane Brunner ist im Alter von 78 Jahren gestorben. Die Genferin prägte die Frauenbewegung in der Schweiz. In die Geschichte ein ging insbesondere ihre Nichtwahl in den Bundesrat 1993.

Brunner sei am Freitagmorgen verstorben, bestätigte der Sohn der einstigen National- und Ständerätin auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Zuerst über den Todesfall berichtet hatte das Westschweizer Radio und Fernsehen RTS.

Als Aktivistin war sie 1969 eine der Begründerinnen der Frauenbefreiungsbewegung in der Schweiz. 1976 trat sie in die SP ein. Von 1981 bis 1990 sass sie im Genfer Grossen Rat, 1991 schaffte sie die Wahl in den Nationalrat.

Erster Frauenstreik 1991

National bekannt wurde Brunner als eine der Mitinitiantinnen des ersten Frauenstreiks. Dieser vermochte am 14. Juni 1991 eine halbe Million Frauen zu mobilisieren.

Brunners Engagement für die Sache der Frauen ging Hand in Hand mit ihrer Karriere als Gewerkschafterin. In dieser damals vorwiegend von Männern dominierten Welt war sie 1992 die erste Frau, die nach dem Schweizerische Verband des Personals öffentlicher Dienste (VPOD) (1982-89) den Schweizerischen Metall- und Uhrenarbeiterverband (SMUV) präsidierte. Von 1994 bis 1998 war sie zudem zusammen mit Vasco Pedrina Co-Präsidentin des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes.

Der «Sturm» von 1993

Politisch gesehen war Brunners Bundesratskandidatur 1993 das denkwürdigste Ereignis ihrer Karriere. Die offizielle Kandidatin der SP-Fraktion unterlag jedoch am 3. März an Francis Matthey.

Der im März verstorbene Neuenburger wurde von den bürgerlichen Parteien unterstützt, die der Sozialistin im Rennen um die Nachfolge von René Felber den Weg versperren wollten: Anstelle Brunners wählte die Vereinigte Bundesversammlung zunächst den Neuenburger National- und Staatsrat. Matthey lehnte die Wahl jedoch auf Druck seiner Partei ab. Die Nichtwahl Brunners führte zu Protesten - insbesondere von Frauen. Schliesslich wurde Ruth Dreifuss Mitglied der Landesregierung.

«Brunner-Effekt»

Das Ereignis hatte nachhaltige Folgen. Nach den Protesten von Hunderten von wütenden Frauen auf den Bundesplatz und der Wahl von Ruth Dreifuss eine Woche nach dem denkwürdigen 3. März 19993 führte der «Brunner-Effekt» zu einem starken Anstieg der Frauenvertretung in verschiedenen Kantonen.

Diese Nichtwahl habe mehr bewegt, als sie als Bundesrätin hätte bewirken können, bekräftigte Brunner später mehrmals. Während ihrer gesamten Karriere und insbesondere zur Zeit ihrer Kandidatur war die Genferin heftigen sexistischen Angriffen ausgesetzt.

Im Bundeshaus sass Brunner zunächst vier Jahre - von 1991 bis 1995 - im Nationalrat und danach von 1995 bis 2007 im Ständerat. Zu ihren bevorzugten Themen gehörten Rechtsfragen, Arbeitsrecht, Sozialversicherungen, der Status der Frauen und der Ausländer. Auch die Mutterschaftsversicherung lag ihr am Herzen.

Um die Jahrtausendwende verliess die Politikerin die Gewerkschaftsbühne und übernahm nach dem Rücktritt Ursula Kochs das Präsidium der SP, die durch eine interne Krise geschwächt war. 2000 bis 2004 kehrte die Partei unter ihrer Ägide auf die Erfolgsstrasse zurück und erreichte 2003 über 23 Prozent der Wählerstimmen.

Rückzug aus der Politik

Ab 2007 zog sich Brunner, längst eine Galionsfigur des Schweizer Feminismus, aus dem politischen Leben zurück. 30 Jahre nach dem ersten Frauenstreik schlug die Politikerin in einem Interview vor, am 14. Juni 2021 eine Volksinitiative zu lancieren, um endlich Lohngleichheit zu erreichen, und forderte ihre Mitstreiterinnen auf, «nicht locker zu lassen».

Die SP würdigte Brunner am Freitag in einem Communiqué als prägende Figur, die auch künftige Generationen inspirieren werde. Den Angehörigen der Verstorbenen sprach die Partei ihr tiefstes Mitgefühl aus. Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) hob die Pionierrolle Brunners als erste Frau an der Spitze des Dachverbands hervor. Ihre Vision seien kämpferische, aber stets ergebnisorientierte Gewerkschaften gewesen.

Bundesrat Beat Jans bezeichnete Brunner in einem Post auf der Plattform X als grosse Kämpferin für Gleichstellung und soziale Gerechtigkeit. «Die Begegnungen mit ihr haben mich beeindruckt und geprägt. Ihre Überzeugungen trage ich in meiner Arbeit weiter», schrieb der Justizminister.

Brunner lebte in einer Patchworkfamilie mit fünf erwachsenen Söhnen. Ihr Ehemann, der Gewerkschafter Jean Quéloz, verstarb 2021. (sda)

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34 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Triple
18.04.2025 11:09registriert Juli 2015
RIP Frau Brunner. An die Schlammschlacht gegen Ihre Kandidatur als BR kann ich mich noch gut erinnern, war unterste Schublade und einer Demokratie unwürdig.
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Dante&Lupus
18.04.2025 11:11registriert August 2024
Eine Frau - der Inbegriff der Widerstandskraft,trotz herber Niederlage,bei der Bundesratswahl war sie immer eine erfolgreiche Kämpferin für die Rechte der Frauen.
Nicht nur durch das Fenster der Erinnerungen bleiben ihre Erfolge als Erbe bestehen.
Vielen lieben Dank
Ruhe sanft in Frieden.
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Kermel
18.04.2025 11:45registriert September 2018
Beeindruckende Persönlichkeit. Stark, engagiert, empathisch. Ich kann mich noch erinnern, welche Strahlkraft sie in ihrer aktiven Politphase hatte, auch in meinem familiären Umfeld, das habe selbst ich realisiert, der damals noch zu klein war, um Politik zu verstehen oder davon bewegt zu sein.
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